Onkel Manfred
Maximilian hat seinen Onkel Manfred zwar nicht gekannt, bestimmt aber hat er verschiedene Dinge über ihn gehört.
Onkel Manfred musste uns 14 Jahre vor Max’ Geburt verlassen.
Onkel Manfred war immer gut drauf, ein sehr lebenslustiger und gutmütiger Mensch, der uns Kinder oft erheiterte, indem er Kopfstände vollführte oder auf seinen Händen durch Omas Garten lief.
Ende der 1960er Jahre hat Manfred uns mal im Auto mitgenommen, meine Mutter, meinen Bruder und mich. Er hatte damals einen knallgelben VW Käfer. Ich war etwa 4 oder 5 Jahre alt, saß auf der Rückbank und konnte gerade eben aus dem Fenster schauen; ich erinnere mich noch gut an das laute Aufheulen des rasselnden Boxermotors direkt hinter mir sowie an die Fliehkräfte, denen wir in Kurven ausgesetzt waren, und an den scherzhaften Ausruf meiner Mutter: "Der Onkel Manfred will uns veräppeln!"; Sicherheitsgurte hatte damals nicht jedes Auto, und schon gar nicht auf der Rückbank. Oma sagt noch heute, jedesmal, wenn unten auf der Straße ein Auto mit qietschenden Reifen um die Ecke fuhr, dann wusste sie: Manfred kommt gerade nach hause.
Zusammen mit Tante Gaby hat er mal meinen Bruder und mich ins Kino eingeladen, Anno 1969 oder ‘70, als Disneys "Dschungelbuch" zum ersten Mal in den Kinos lief.
Onkel Manfred wurde genau 30 Jahre alt. Am frühen Morgen des 13. März 1971 - an seinem 30. Geburtstag - ist er mit dem Auto tödlich verunglückt, unter ähnlichen Umständen wie 33 Jahre später sein Neffe Maximilian.
Samstag, der 13.3.1971. Onkel Manfred hatte in der Nacht von Freitag auf Samstag in der Mainzer Innenstadt seinen 30. Geburtstag gefeiert. Es war der letzte Wintertag mit Eis und Nebel des Jahres 1971, als er frühmorgens gegen 4:55 die Kontrolle über seinen Renault 4 verlor. Es heißt, sei mit sehr hoher Geschwindigkeit angekommen und ins Schlingern geraten, zunächst über den rechten Gehweg gefahren und dann auf die Gegenfahrbahn geraten, wo er frontal mit einem entgegenkommenden Mercedes-Benz zusammeprallte. Manfred wurde aus dem Wagen herausgeschleudert und verstarb auf der Straße. Die Schleuderspur soll 60 Meter lang gewesen sein. Beide Autos wurden total zerstört.
Am Mittwoch fand Manfreds Beisetzung statt. Soldaten in grauer Uniform ließen den hellbraunen Holzsarg in die Erde; auf dem Sarg war die deutsche Flagge mit Bundesadler ausgebreitet, darauf lagen ein großer schwarzer Kranz und eine Maschinenpistole. Eine Bundeswehrkapelle spielte auf Blasinstrumenten langsame Weisen. Bei der Grabrede habe ich erfahren, dass er Feldwebel war. Wir warfen jeder noch eine gelb-rote Blume und eine kleine Schaufel Erde ins Grab und nahmen Abschied von Onkel Manfred. Ich war damals gerade 8 Jahre alt geworden und konnte es einfach nicht fassen, dass Onkel Manfred für immer weg sein sollte; ich habe mich nie damit abgefunden.
Manfred war drei Wochen vor seinem Tod aus Denver, Colorado zurückgekommen, wo er als Spezialist für Raketenabwehr der Bundesluftwaffe ein Ausbildungsprogramm an der Lowry Air Force Base absolviert hatte. Den alten Renault hatte er nur zur Überbrückung gekauft, bis sein Kit-Car per Schiff aus den USA kommen würde.
Der Sportwagen wurde wenige Tage nach Onkel Manfreds Tod angeliefert. Auf das Fahrgestell seines Volkswagen Käfers hatte Manfred eine orangenfarbene Kunststoff-Karosserie “Bonanza GT” des Herstellers Fiberfab montiert. Den Käfer-Motor hatte er in den USA durch einen ebenfalls luftgekühlten, 150 PS starken Sechszylinder-Boxermotor mit Turbolader ersetzt, der aus aus einem Chevrolet Corvair stammte.
Der Bonanza GT war fahrbereit, aber die Elektrik hatte Manfred nicht fertiggestellt; der Wagen wurde etwas später an einen Landmaschinenmechaniker aus Bodenheim verkauft. Mit Onkel Manfreds Auto wurde damals leider ein Stück Erinnerung weggegeben - so sehr wir Kinder uns auch dagegen gesträubt haben …Ralf Eichberger
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Danke Ralf, dass du auch etwas über meinen Kleinen-Großen Bruder Manfred schreibst. Ich kann mich leider nur allzugut an seinen Todestag erinnern. Wir waren am Abend noch bei unserem ältesten Bruder Rudi und seiner Frau Ute eingeladen. Es war ein fröhlicher Abend. Eigentlich wollten wir in Manfreds 30sten Geburtstag hineinfeiern. Aber - alle bis auf Manfred waren gegen 23.00 Uhr sehr müde. Nur er wollte unbedingt noch in eine Bar gehen. Wir haben uns verabschiedet und uns auf seinen Geburtstag gefreut. Es war bitterkalt in dieser Nacht. Georg und ich sind nach Hause gefahren und haben alle Geschenke um Manfreds Bett herum aufgebaut. Er sollte sich gleich freuen wenn er nach Hause kommen würde.
Gegen 6.00 morgens Uhr klingelte es Sturm an der Haustüre, ich dachte dass Manfred seine Hausschlüssel vergessen hätte und stand auf. Da hörte ich von der Haustüre her schweres Atmen und furchtbares Stöhnen. Mein Vater stand totenbleich im Türrahmen - ich werde nie im Leben dieses Atmen vergessen.
“Sie müssen ihn in der Pathologie in der Uni-Klinik identifizieren” hörte ich eine Männerstimme sagen. Sofort wußte ich: Manfred ist tot.
Es durfte doch nicht sein, heute ist sein 30ster Geburtstag ……
Der Albtraum war da.
Die folgenden Stunden waren bis daher die schlimmsten meines Lebens. Mein geliebter Bruder, wir konnten es nicht glauben. Meine Mutter und mein Vater waren fassungslos. Heute kann ich diesen Schmerz mehr als nachempfinden, ich durchlebe ihn selbst. Als einige Stunden später seine Verlobte aus Denver anrief um ihm zu gratulieren, war ich es, die ihr im schlechten Englisch die schlimme Nachricht überbringen mußte. Sie setzte sich in den nächsten Flieger und war für einige Zeit unser Gast.
Keiner in der Familie wollte es glauben. Ich erinnere mich, wie mein Bruder Dieter richtig böse und wütend wurde, als ich ihn anrief. 33 Jahre später mußte ich fast die gleichen Worte zu ihm sagen.
Manfred war auf der Straße, die von der Uni Mainz nach Gonsenheim führte, an dem vereisten Bahnübergang, ins Schlingern geraten und dann frontal mit einem Mercedes zusammengeprallt. Der Fahrer des Mercedes hatte einen Armbruch, Manfred wurde aus seinem Wagen geschleudert und verstarb. Remember Max.
Ich habe bis heute nicht verkraftet, dass plötzlich keiner mehr Manfred sehen durfte. Er war Geheimnisträger bei der Bundeswehr, und die verwehrte uns im Krankenhaus den Zutritt zu Manfred. Bis heute ist mir das unverständlich. Damals standen wir zu sehr unter Schock um uns zu wehren. So habe ich bis heute gehofft, es sei eine Täuschung, weil er vielleicht eine geheime Mission zu erfüllen hatte oder aber untertauchen musste - und habe über all die Jahre immer wieder meinen Bruder in der Menge gesucht.
Deshalb war es mir bei meinem Maximilian auch so wichtig ihn zu sehen, egal wie er ausgesehen hätte. Ich bedanke mich hiermit nocheinmal von ganzem Herzen bei dem Bestattungsunternehmen Spiekermann in Mülheim, die uns einen würdigen Abschied mit einem Bild voller Frieden von Maximilian ermöglicht haben. Ein solcher Abschied von Manfred wurde uns nicht gewährt.
Die Beerdigung war überwältigend, aber auch qualvoll. Die Bundeswehr hat ihn mit allen Ehren bestattet. Es war eine riesige Menschenmenge gekommen, wie auch bei Maximilian. Georg und ich haben 2 Monate später ganz still standesamtlich geheiratet, 1971. Wir haben gesehen wie rasch alles vorbei sein kann.
Shirley, Manfreds Verlobte, war eine besonders liebe und sehr beeindruckende Frau. Sie hatte indianische Vorfahren und lebte in Denver, Colorado. Sie hat uns Anfang der 90er Jahre noch einmal besucht.
Manfred war mein fröhlichster Bruder. Wir verstanden uns großartig. Er überließ mir sogar seinen Karmann-Ghia, als er nach Amerika ging. Einzige Bedingung: Ich mußte ihm noch meinen Führerschein zeigen. Dadurch habe ich in der Rekordzeit von ca. 10 Tagen meinen Führerschein gemacht.
Autos waren seine Leidenschaft. Manfred bastelte stundenlang an ihnen herum. Einmal hat er sich in Denver dabei eine Fingerkuppe abgetrennt. Als er damit im Militärhospital ankam, traf er auf einen Trupp Schwerkriegsverletzter aus Vietnam. Es sah, wie dringend die Ärzte dafür gebraucht wurden. Da warf er seine Fingerkuppe weg und ließ sich den Finger nur vernähen. Er war sehr hart im Nehmen. Als er noch in Landsberg-Lech stationiert war, brach er sich kurz vor einem Skirennen einen Fußzeh. Er quetschte sich dennoch in die Skistiefel - und gewann das Rennen.
Er war hilfsbereit, fröhlich, tapfer und ein einzigartiger Bruder.
Er verstarb am 13. März 1971, an seinem 30. Geburtstag.
Maximilian verstarb am 23.März 2004 , 5 Tage nach seinem 19. Geburtstag.
Der Autofahrer, mit dem Maximilian zusammenstieß, hieß mit Vornamen: MANFRED
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